Ich habe den Eindruck, dass das Forum hier in tiefen Winterschlaf gefallen ist. Hier mal ein Versuch, diese Winterstarre zu beenden:
Zum Abschluss der letzten Saison gab es eine vehement geführte Diskussion über die Höhe der Bestrafung für Karenzüberschreitung. Auslöser war ein Bericht, in dem die Höhe der Strafpunkte für Inanspruchnahme der Karenz etwas provokativ in Frage gestellt wurde. Ich hatte damals klar Stellung bezogen, dass in meinen Augen jede Strafpunktzahl, bei der das Verhältnis Minute zu SK größer 1:10 ist, dem Sinn des Orientierungssports zuwider läuft. Es gab aber auch Meinungen, die dem widersprochen hatten und den Hebel nicht bei der Punktvergabe, sondern beim Schnitt der Veranstaltung ansetzen wollten. Die Philosophie war, dass auch jedes unerfahrene Nachwuchsteam in der Lage sein sollte, eine Veranstaltung in der Sollzeit zu schaffen, sodass die Inanspruchnahme der Karenz die ganz große Ausnahme bleiben müsse, was dann natürlich bedeutet, dass die Spitzenteams regelmäßig eine Unmenge Vorzeit zur Verfügung haben. Resultierend aus dieser Diskussion kam es sogar soweit, dass der Schirmherr einer renommierten Veranstaltungsserie sich dafür einsetzen will, dass jeder Veranstalter, der bei seiner Ori einen Schnitt von 25 km/h überschreitet, für das folgende Jahr von der Veranstaltungsserie auszuschließen sei.
Auch wenn ich persönlich aus Zeitgründen nur noch in der Lage bin, maximal fünfmal im Jahr als Teilnehmer an den Start zu gehen, verfolge ich die Szene als interessierter Beobachter. Das neue Jahr ist noch gar nicht alt und schon haben zwei höchst interessante Veranstaltungen stattgefunden. Und was mir da aufgefallen war, hatte mich dazu veranlasst, diese Diskussion zu starten: Denn bemerkenswert war, dass bei beiden Veranstaltungen ein deutlich höherer als ein 25er Schnitt zugrundegelegt war. Es sollte betont werden, dass es sich zweifellos um kompetente Veranstalter gehandelt hat, die sehr wohl wissen, was sie tun. Denn nach 38 Jahren über die Kompetenz eines Fahrtleiters noch ein Wort zu verlieren, hieße Eulen nach Oberfranken zu tragen. Die zweite Ori war zwar eine Erstlingsveranstaltung. Aber dass auch deren Fahrtleiter Thomas S. über die notwendige Kompetenz verfügt, habe ich persönlich feststellen dürfen, als ich im Herbst 2005 nach längerer Pause erstmals wieder eine Ori veranstaltet hatte. Bei dieser Ori konnte sich Thomas unter 47 Startern als Gesamtsieger durchsetzen.
Beide Veranstalter haben mit der Festlegung eines höheren Schnitts bewusst das Konzept so gewählt, dass auch die erfahrenen Teilnehmer Minuten fangen werden, aber das Strafpunktverhältnis zwischen gefangener Minute und SK-Fehler mit Augenmaß so festgelegt, dass eine leistungsgerechte Wertung dabei herauskam. Übrigens um eine Leistung zu beurteilen, gibt es ja ein Naturgesetz: P=W/t (Leistung ist Arbeit geteilt durch Zeit). Das heißt auf den Orisport bezogen, wer hat in welcher Zeit die beste Arbeit abgeliefert.
Mir ist klar, dass dieses Konzept natürlich nur dann funktioniert, wenn die erforderlichen Rahmenbedingungen passen. Wie im Fall der ersten Ori, wo über Jahre ein vertrauenvolles Verhältnis zu Genehmigungsbehörde und Polizei aufgebaut worden ist. Außerdem klappt sowas natürlich auch nur, wenn man das geeignete Wegenetz zur Verfügung hat, das Ganze nachts in dünn besiedeltem Gebiet durchführt wird und das zu einer Jahreszeit, in der selbst Hundebesitzer sich nur so weit aus dem Haus bewegen wie unbedingt nötig. Bei unserer Veranstaltung, der Frankenstein-Ori in Darmstadt-Eberstadt, würde das nicht funktionieren. Wir befinden uns mitten in einem Ballungsgebiet. Auch aufgrund des selbstgewählten Termins als Tagesveranstaltung im Spätsommer vorwiegend auf asphaltierten Straßen, wäre solch ein Konzept undenkbar. Ich selbst habe hier im Forum schon warnend den Finger gehoben, wenn Veranstalter durch falsche Zeitvorgaben (und natürlich auch durch nicht sinnvolle Strafpunktregelung) Teilnehmer zu Straßenrennen veranlassen. Was bei der einen Veranstaltung funktioniert, wäre bei der anderen unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen unverantwortlich.
Da Veranstalter Oris in erster Linie für die Teilnehmer machen, würde mich jetzt Folgendes interessieren. Ist es von Teilnehmerseite gewünscht, dass eine Veranstalterserie zur Vereinheitlichung strenge Vorgaben wie z.B. über den Schnitt vorgibt, was soweit führen kann, dass Abweichler abgestraft werden sollen (beide Oris gehören nicht zu der Serie. Aber mal angenommen dass, sollte man sie dann rausschmeißen?). Oder ist der Teilnehmer dankbar für eine Vielfalt unterschiedlicher Veranstaltungskonzepte, abhängig von Jahreszeit, Wegenetz und Genehmigungssituation. Wie steht Ihr allgemein zu strengen Reglementierungen, die eventuell die Kreativität eines Fahrtleiters einschränken könnten?
Wenn man sich die Starterzahlen (117 in bei der einen, 37 bei der anderen) ansieht, ist die Frage nach der Reglementierung des Schnitts eine eher rhetorische. Da sprechen die Zahlen alleine schon eine deutliche Sprache. Trotzdem würde ich eine rege Diskussion begrüßen.
P.S: An die Teilnehmer beider Veranstaltungen: Was habt Ihr an Feedback von Nachwuchsteams mitbekommen. War die Karenzzeit ausreichend bemessen, damit bei diesen Teams keine Frusterlebnisse aufkamen?